Nachdem der BGH mit der „wenigermiete.de“-Entscheidung aus November letzten Jahres das Tor für LegalTech-Anbieter weit geöffnet und der Branche einen Aufschwung beschert hat, holen derzeit einzelne Landgerichte zum „Korrektur“-Schlag aus.
Die Rechtsberatungsbranche steht seit längerem, aber insbesondere durch die Entscheidung des BGH, ohnehin vor einem Umbruch. Der klassische Rechtsanwalt muss zunehmend seine Arbeitsabläufe an die Begebenheiten der Digitalisierung anpassen. Vor allem die Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) stellt den einen oder anderen Berufskollegen bereits vor Herausforderungen. Daneben treten die Legal-Tech-Anbieter auf den Markt, welche mit modernen Onlineangeboten das klassische Anwaltsgeschäft angreifen (Günther GRUR-Prax 2020, 96). Seit Längerem wird über die Verschärfung/Lockerung des Rechtsdienstleistungsgesetzes (dazu Jähne unter legal-tech.de) und die Lockerung des anwaltlichen Berufsrechts (bspw. beim Erfolgshonorar oder der möglichen Kapitalbeteiligung) diskutiert.
Inkassodienstleistungsbefugnis
Der BGH hatte noch zu Jahresende 2019 entscheiden, dass es von der Inkassodienstleistungsbefugnis eines nach § 10 I Nr. 1 RDG registrierten Inkassodienstleisters (noch) gedeckt sei, wenn dieser auf seiner Internetseite einen „Mietpreisrechner“ zur Berechnung der ortsüblichen Vergleichsmiete zur Verfügung stelle und im Anschluss hieran dem Mieter die Möglichkeit gebe, ihn durch Anklicken eines Buttons mit der außergerichtlichen Durchsetzung von Forderungen und etwaigen Feststellungsbegehren gegen den Vermieter im Zusammenhang mit der „Mietpreisbremse“ – unter Vereinbarung eines Erfolgshonorars in Höhe eines Drittels der jährlichen Mietersparnis (vier Monate) sowie einer Freihaltung des Mieters von sämtlichen Kosten – zu beauftragen. Es sei auch zulässig, wenn der Mieter in diesem Zusammenhang die genannten Ansprüche zum Zweck der Durchsetzung treuhänderisch an den Inkassodienstleister abtritt, der im Fall einer Erfolglosigkeit der eigenen außergerichtlichen Rechtsdienstleistungstätigkeit einen Vertragsanwalt mit der anwaltlichen und gegebenenfalls auch gerichtlichen Durchsetzung der Ansprüche beauftragen kann, zum Abschluss eines Vergleichs jedoch grundsätzlich nur mit Zustimmung des Mieters befugt ist.
Überschreitung Inkassobefugnis
Das LG Berlin hat mit Urteil vom 29.04.2020 (Az.: 64 S 95/19) entschieden, dass die Rückforderung einer von einem Mieter an seine Vermieterin unter Vorbehalt gezahlten überhöhten Miete nicht mehr als „eigenständige“ Inkassodienstleistung im Sinne der aktuellen Fassung des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) bewertet werden könne, wenn der Auftrag des Mieters an die für ihn handelnde Legal-Tech-Plattform darüber hinausgehend gelautet habe, für ihn die „Mietpreisbremse“ bei der Vermieterin durchzusetzen und die im Wohnungsmietvertrag vereinbarte Miete auf das höchstzulässige Maß herabzusetzen.
Schutzzweck des RDG
Auch das LG München I hat mit Urteil vom 07.02.202 (37 O 18934/17) eine Schadenersatzklage der Financialright GmbH gegen das Lkw-Kartell wegen Verstoßes gegen das RDG abgewiesen). Das LG München I nimmt dabei Bezug auf die Entscheidung des BGH zu „wenigermiete.de“ und nimmt – so wie es der BGH fordert – eine am Schutzzweck des RDG ausgerichtete Würdigung der Umstände des Einzelfalls einschließlich einer Auslegung der hinsichtlich der Forderungseinziehung getroffenen Vereinbarungen vor. Aus dieser Gesamtschau leitet das LG München I ein Überschreiten der Inkassoerlaubnis ab. Die Nichtigkeit ergebe sich zum einen daraus, dass die Rechtsdienstleistungen von vorneherein nicht auf eine außergerichtliche, sondern ausschließlich auf eine gerichtliche Tätigkeit gerichtet seien und damit kein klassisches Inkasso mehr vorliege. Dies folge aus einer Gesamtschau der vertraglichen Regeln, des Auftretens der Financialright GmbH gegenüber ihren Kunden und der tatsächlichen Durchführung. So sei etwa das Angebot nach seinem Gesamteindruck auf die Beteiligung an einer Sammelklage gerichtet.
Zudem nimmt das LG München I eine Unvereinbarkeit gem. § 4 RDG in zweierlei Hinsicht an: Zum einen zwischen der Leistung der Financialright und den einzelnen Kunden, da die quotale Verteilung des etwaig erstrittenen Vergleichsbetrages unabhängig von den konkreten Erfolgsaussichten des Einzelnen erfolgen würde. Zum anderen daraus, dass die Klage von einem Prozessfinanzierer finanziert werde und so die Gefahr bestünde, dass die Zweckmäßigkeitserwägungen des Prozessfinanzierers an die Stelle eigener Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen der Financialright treten könnten.
Inkassoerlaubnis
Auch das LG Braunschweig legt mit Urteil vom 24.04.2020 (11 O 3092/19) nochmal nach. Es ging um die Klage aus abgetretenem Recht eines Schweizer Autofahrers gegen VW aus dem sog. „Dieselskandal“. Das LG Braunschweig orientiert sich weitestgehend an der Richtschnur des BGH, um am End des Urteils den Anspruch dennoch abzulehnen. Mit der Erbringung von Rechtdienstleistungen im Schweizer Recht überschreitet die Klägerin nämlich die Befugnis zur Erbringung von Inkassodienstleistungen. Dies folgt aus einer Auslegung der einschlägigen Vorschriften des RDG: Dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RDG sei eine Beschränkung der Erlaubnis auf bestimmte Rechtsgebiete zwar jedenfalls ausdrücklich nicht zu entnehmen. Das heißt aber nicht, dass man im Wege der Auslegung nicht doch zu einer Beschränkung kommen könne.
Bei der systematischen Auslegung sei zunächst zu berücksichtigen, dass betreffend Berater im ausländischen Recht in § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 RDG ausdrücklich davon die Rede sei, dass die Erlaubnis in „einem“ ausländischen Recht erteilt werde. Eine solche Begrenzung fehle in § 10 Abs. 1 S.1 Nr. 1 RDG, was dafür sprechen könnte, dass es für registrierte Inkassodienstleister eine Beschränkung auf ein – das deutsche – Recht nicht geben sollte. Im Rahmen einer historischen Auslegung sei dann aber weiter zu berücksichtigen: Bei der Schaffung des RDG hatte der Gesetzgeber – BT-Drs. 16/2655, S. 41, 80 („vom BVerfG anerkanntes Berufsbild“) – das Berufsbild des Inkassodienstleisters als eines im Blick, dass sich bereits verfestigt hatte und aus dem Wirtschaftsleben nicht mehr wegzudenken sei. Dafür, dass der Gesetzgeber dabei einen Inkassodienstleister vor Augen hatte, der nach ausländischem Recht zu beurteilende Forderungen einziehe, gibt es keine Anhaltspunkte: Er habe schlicht nicht daran gedacht. Letztere Annahme verfestige sich bei einem Blick auf die Anforderungen an theoretischen Rechtskenntnissen, die gem. § 11 Abs. 1 RDG von einem Inkassodienstleister erwartet werden. § 11 Abs. 1 RDG verlange vom Inkassodienstleister besondere Sachkunde in einer Vielzahl von Rechtsgebieten, ausländisches Recht werde dort nicht genannt, die Begrifflichkeiten deuten darauf hin, dass ausschließlich deutsches Recht gemeint sei, was gut zu dem bereits zitierten Bild des „klassischen“ Inkassodienstleisters „passt“, den der Gesetzgeber im Blick hatte. Besonders deutlich werde es, ziehe man noch die Gesetzgebungsmaterien hinzu: Dann stelle man fest, dass die Anforderungen in § 11 Abs. 1 RDG gezielt an die schon bis dato geforderten anknüpfen sollten (BR-Drs. 623/06, S. 141, BT-Drs. 16/3655, S. 66; so auch LexFox Rn. 224). Dort wird nämlich Bezug genommen auf die bereits mehrfach zitierte Inkasso I-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Die dort aufgeführten Rechtsgebiete, deren Kenntnis von einem Inkassodienstleister verlangt werden, sind eindeutig nur solche des deutschen Rechts.