Urt. v. 8.11.2023 – AGH I EVY 4/2023
Unwissenheit schützt nur selten vor Strafe
Der AGH Hamburg (Urt. v. 8.11.2023 – AGH I EVY 4/2023) hatte einen eigentlich klar gelagerten Fall der fehlerhaften Weiterleitung von Fremdgeldern zu beurteilen.
Einem Rechtsanwalt ist vorgeworfen worden, seit 2012 in zwei Fällen gegen seine Berufspflicht zur gewissenhaften Berufsausübung nach § 43a Abs. 5 S. 2 BRAO aF, § 4 Abs. 2 BORA (Nichtweiterleiten von Fremdgeldern) und § 23 BORA (Abrechnungsverhalten) verstoßen zu haben. Für seinen Mandanten erlangte er im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall eine Deckungszusage und stellte eine Vorschussrechnung, welche abzüglich der Selbstbeteiligung gezahlt wurde. Am Ende des Verfahrens zahlte die Versicherung des Unfallgegners ebenfalls Rechtsanwaltsgebühren an den Rechtsanwalt. Gleichwohl zahlte der Rechtsanwalt den Betrag nicht an die Versicherung und rechnete dieser gegenüber nicht ordnungsgemäß ab.
Zudem führt der Rechtsanwalt einen Rechtstreit und erhielt seine Vergütung von der Rechtsschutzversicherung. Sodann teilte dieser zwar mit, dass der Rechtsstreit durch einen Vergleich beendet worden war, zahlte aber die erhaltene Gerichtskostenerstattung nicht an diese aus und rechnete dieser gegenüber nicht ordnungsgemäß ab.
Fremdgeld, § 43a Abs. 7 BRAO
Der Rechtsanwalt ist bei der Behandlung der ihm anvertrauten Vermögenswerte zu der erforderlichen Sorgfalt verpflichtet. Er hat fremde Gelder nach § 43a Abs. 7 BRAO unverzüglich an den Empfangsberechtigten weiterzuleiten oder auf ein Anderkonto einzuzahlen.
Ergänzt wird dies durch § 4 Abs. 1 BORA: Fremdgelder und sonstige Vermögenswerte, insbesondere Wertpapiere und andere geldwerte Urkunden, sind unverzüglich an die Berechtigten weiterzuleiten. Solange dies nicht möglich ist, sind Fremdgelder auf Anderkonten zu verwalten; dies sind in der Regel Einzelanderkonten.
Weiterleitung an RSV
Aus dem Urteil des BGH (vom 23. Juli 2019, VI ZR 307/18) folgt, dass „empfangsberechtigt“ im Sinne des § 43 Abs. 5. S. 2 BRAO aF dritte Personen sein können, die als Teil der Allgemeinheit ebenfalls auf die Integrität des Anwalts in finanziellen Fragen vertrauen. Geschützt wird das allgemeine Vertrauen in die Korrektheit und Integrität der Anwaltschaft in allen finanziellen Fragen und damit zugleich die Funktionsfähigkeit der Anwaltschaft in der Rechtspflege. Dieses Allgemeininteresse rechtfertigt es, die Einhaltung rein zivilrechtlicher Pflichten aus dem Anwaltsvertrag zusätzlich als berufsrechtliche Pflichten auszugestalten und deren Verletzung anwaltsgerichtlich zu ahnden.
Verbotsirrtum
Allerdings hatte der Anwalt Glück: Zum Zeitpunkt der Aufrechnungen des Rechtsanwalts gegenüber seinen Mandanten bestand eine unklare Rechtslage darüber, ob ein Rechtsanwalt vom Gericht und vom Prozessgegner erhaltene Kostenerstattungen behalten und mit eigenen Honorarforderungen gegen den eigenen Mandanten verrechnen darf (vgl. BGH vom 08.06.2021 – VI ZR 1232/20). So gab es Stimmen, die sich bereits gegen einen bereicherungsrechtlichen Anspruch der Rechtsschutzversicherung gegen den Rechtsanwalt aussprachen, ohne dass es auf einen Forderungsübergang nach § 86 Abs. 1 S. 1 VVG (bzw. § 67 VVG aF) ankommen sollte. Darüber hinaus bestehe ein Quotenvorrecht des Mandanten, welches dem Anspruch des Rechtsschutzversicherers entgegengehalten werden kann. Die o.g. BGH-Entscheidungen vom 23.07.2019 und vom 08.06.2021 führen zwar rechtlich zutreffend zu einem anderen Ergebnis. Allerdings sind sie weit nach dem Tatzeitpunkt ergangen. Der Rechtsanwalt konnte diese Entscheidungen daher nicht kennen und sie so auch nicht seiner Unrechtsbewertung im konkreten Fall zugrunde legen.