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Der BGH justiert die berufsrechtliche Interessenkollision neu

Eine Vertretung widerstreitender Interessen im Sinne von § 43a Abs. 4 BRAO setzt demnach voraus, dass der Rechtsanwalt im (Kern-)Bereich der rechtsbesorgenden anwaltlichen Berufsausübung tätig wird. Hinsichtlich der Frage, ob der Rechtsanwalt im Sinne des § 45 Abs. 2 Nr. 2 BRAO in derselben Angelegenheit tätig wird, ist sodann unter Berücksichtigung der Tragweite der Berufsausübungsfreiheit eine restriktive Auslegung geboten. An einer Tätigkeit in derselben Angelegenheit fehlt es, wenn sich die durch die jeweilige Aufgabenwahrnehmung berührten Interessen nicht in relevantem Maße überschneiden (BGH Urt. v. 17.9.2020 – III ZR 283/18). Dazu führt der BGH (a.a.O.) aus:

Keine widerstreitenden Interessen

„Gemäß § 43a Abs. 4 BRAO darf der Rechtsanwalt keine widerstreitenden Interessen vertreten. Auf der Grundlage der Ermächtigung des § 59b Abs. 2 Nr. 1 Buchst. e BRAO konkretisiert § 3 BORA dieses Verbot dahingehend, dass der Rechtsanwalt nicht tätig werden darf, wenn er eine andere Partei in derselben Rechtssache im widerstreitenden Interesse bereits beraten oder vertreten hat oder mit dieser Rechtssache in sonstiger Weise im Sinne des § 45 BRAO beruflich befasst war. Grundlage der Regelung des § 43a Abs. 4 BRAO sind das Vertrauensverhältnis zum Mandanten, die Wahrung der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts und die im Interesse der Rechtspflege gebotene Gradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung (Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte, BT-Drucks. 12/4993, S. 27). Die Wahrnehmung anwaltlicher Aufgaben setzt den unabhängigen, verschwiegenen und nur den Interessen des eigenen Mandanten verpflichteten Rechtsanwalt voraus (BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 – IX ZR 241/14, NJW 2016, 2561 Rn. 6 mwN). Der Verstoß gegen das Verbot des § 43a Abs. 4 BRAO führt zur Nichtigkeit des Anwaltsvertrags (BGH, Urteile vom 12. Mai 2016 aaO Rn. 7 ff und vom 10. Januar 2019 – IX ZR 89/18, NJW 2019, 1147 Rn. 24).“

Im Kernbereich rechtsbesorgende anwaltliche Berufsausübung

„Eine Vertretung widerstreitender Interessen im Sinne von § 43a Abs. 4 BRAO setzt voraus, dass der Rechtsanwalt bei beiden Tätigkeiten im Kernbereich der rechtsbesorgenden anwaltlichen Berufsausübung handelt. Dies ist allerdings umstritten. Nach einer Meinung reicht auch eine nicht dem Kernbereich anwaltlicher Berufsausübung zuzuordnende Tätigkeit aus, um das Verbot des § 43a Abs. 4 BRAO auszulösen (Geppert, Der strafrechtliche Parteiverrat, 1961, S. 117; Offermann-Burckart, AnwBl 2008, 446, 448; so auch noch Kleine-Cosack, BRAO, 7. Aufl., § 43a Rn. 152; vgl. auch die Nachweise bei Deckenbrock, Strafrechtlicher Parteiverrat und berufsrechtliches Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen, 2009, Rn. 255 Fn. 605). Hierfür wird angeführt, dass der Wortlaut des § 43a Abs. 4 BRAO eine Einschränkung auf den (Kern-)Bereich der anwaltlichen Berufsausübung nicht enthalte, die Tätigkeitsverbote des § 45 BRAO keinen ausreichenden Schutz gewährten und Rechtsanwälte unbeschränkt zweitberuflich tätig werden könnten (Kleine-Cosack aaO). Andere Autoren vertreten demgegenüber die Ansicht, dass es sich sowohl bei der Vorbefassung als auch bei der nachfolgenden Tätigkeit um eine anwaltliche Berufsausübung im engeren Sinne handeln müsse. Hierfür wird vor allem das systematische Verhältnis zu den Verboten des § 45 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 Nr. 2 BRAO angeführt, die Tätigkeiten außerhalb der anwaltlichen Beratung betreffen, aber auch eine Parallele zum Straftatbestand des § 356 StGB gezogen (Henssler in Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl., § 43a Rn. 186a f, 196; Deckenbrock aaO Rn. 255 ff; ders., AnwBl 2009, 16, 17); für diesen ist es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erforderlich, dass der Rechtsanwalt beiden Parteien beruflich, also in seiner Eigenschaft als Anwalt, gedient hat (BGH, Urteile vom 6. Oktober 1964 – 1 StR 226/64, BGHSt 20, 41 ff und vom 27. Juli 1971 – 1 StR 183/71, BGHSt 24, 191 f; s. auch  LK-StGB/Gillmeister, 12. Aufl., § 356 Rn. 36).

Der erkennende Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an. § 43a Abs. 4 BRAO steht in einem unmittelbaren systematischen Zusammenhang mit den anderen in § 43a BRAO geregelten Grundpflichten des Rechtsanwalts, welche die in § 43 BRAO beschriebene allgemeine Berufspflicht konkretisieren und ergänzen. Grundlage dieser Pflichten sind die Aufgaben des Rechtsanwalts im System der Rechtspflege und das Vertrauensverhältnis zum Mandanten (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung aaO S. 27). Dementsprechend erfasst die Verschwiegenheitspflicht nach § 43a Abs. 2 Satz 2 BRAO alles, aber auch nur das, was dem Rechtsanwalt in Ausübung seines Berufs bekanntgeworden ist. Auch das Verbot unsachlichen Verhaltens nach § 43a Abs. 3 BRAO bezieht sich auf die anwaltliche „Berufsausübung“. Der systematische Zusammenhang mit diesen anderen Grundpflichten und die gemeinsame Zweckrichtung sprechen gegen eine Anwendung des Verbots der Vertretung widerstreitender Interessen nach § 43a Abs. 4 BRAO auf Tätigkeiten jenseits des (Kern-)Bereichs der rechtsbesorgenden anwaltlichen Berufsausübung. Dies bestätigt auch der Blick auf die Regelung gesonderter Verbote für Tätigkeiten außerhalb des Anwaltsberufs in § 45 BRAO; insbesondere die Verbote nach § 45 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 Nr. 2 BRAO wären weitestgehend entbehrlich, wenn das Verbot des § 43a Abs. 4 BRAO nicht auf den Kernbereich der Anwaltstätigkeit beschränkt wäre.“

Eine Frage des Anwaltsvertrages

„Ob im Einzelfall ein Anwaltsvertrag vorliegt mit der anwaltstypischen Verpflichtung, dem Auftraggeber rechtlichen Beistand zu leisten (§ 3 Abs. 1 BRAO), hängt vom Inhalt der Aufgabe ab, die dem Rechtsanwalt übertragen und von diesem durchgeführt wird. Ein Anwaltsvertrag kann auch anwaltsfremde Maßnahmen umfassen, falls diese in einem engen inneren Zusammenhang mit der rechtlichen Beistandspflicht stehen und Rechtsfragen aufwerfen können. Allerdings fehlt es an einem Anwaltsvertrag, wenn die Rechtsbetreuung völlig in den Hintergrund tritt und deswegen als unwesentlich erscheint (BGH, Urteile vom 2. Juli 1998 – IX ZR 63/97, NJW 1998, 3486 und vom 8. Juli 1999 – IX ZR 338/97, NJW 1999, 3040, 3041 f). Diese Grundsätze gelten auch für treuhänderische Tätigkeiten. Die Treuhandtätigkeit gehört zwar zum Berufsbild des Rechtsanwalts (BGH, Urteil vom 30. Juli 2015 – I ZR 18/14, WM 2016, 400 Rn. 29 mwN) und kann, auch wenn sie nicht nach den Bestimmungen des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes zu entlohnen ist (§ 1 Abs. 2 Satz 2 RVG), Gegenstand eines Anwaltsvertrags sein. Dies setzt jedoch voraus, dass sie mit einer Pflicht zur Rechtsberatung verbunden ist (Senat, Urteil vom 1. Dezember 1994 aaO S. 1027; BGH, Urteile vom 9. November 1992 – II ZR 141/91, BGHZ 120, 157, 159 und vom 8. Juli 1999 aaO S. 3042 sowie Beschluss vom 5. Juli 2007 – IX ZR 257/06, BeckRS 2007, 12162 Rn. 2). Die anwaltliche Beratung besteht darin, dass der Rechtsanwalt die Sach- und Rechtslage prüft und diese dem Mandanten erläutert, um ihm hierdurch eigenverantwortliche und sachgerechte Entscheidungen in seiner Rechtsangelegenheit zu ermöglichen (BGH, Urteil vom 1. März 2007 – IX ZR 261/03, BGHZ 171, 261 Rn. 10). Gegen einen anwaltlichen Beratungsvertrag spricht es, wenn eine Treuhandtätigkeit ausschließlich wirtschaftlich geprägt ist oder eine Rechtsberatung weitgehend hinter die wirtschaftliche Geschäftsabwicklung zurücktritt (vgl. BGH, Urteil vom 11. Oktober 2011 – XI ZR 415/10, WM 2011, 2218 Rn. 14 [zu Art. 1 § 1 RBerG]; VGH Kassel, AnwBl 2008, 790, 791 [zu § 43a Abs. 2 BRAO]).“