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Legitimationswirkung der Gesellschafterliste unter dem Vorbehalt von Treu und Glauben

OLG München, Beschl. v. 24.01.2024 – 23 U 9287/21

Nach Einführung der Regelungen zur Gesellschafterliste im Zuge des MoMiG kristallisierte sich zunächst eine recht formalisierte Betrachtungsweise heraus, die die Gesellschafterliste (§ 16 GmbHG) zum heiligen Gral stilisierte.

Inzwischen erfährt diese Betrachtungsweise zunehmend Brüche. Die Rechtsprechung hat in den letzten Jahren zur Kenntnis genommen, dass damit treuwidrigem Verhalten von Gesellschaftern und Geschäftsführern Tür und Tor geöffnet wird, die die Legitimationswirkung der Gesellschafterliste missbrauchen, um Fakten zu schaffen.

Formelle Legitimationswirkung der Gesellschafterliste nicht unbedingt

Es ist daher mittlerweile allgemein anerkannt, dass die formelle Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 S. 1 GmbHG unter dem Vorbehalt von Treu und Glauben steht.

Ein aktueller Beschluss des OLG München verdeutlicht dies einmal mehr (OLG München, Beschl. v. 24.01.2024 – 23 U 9287/21).

Entscheidung des OLG München zu Liquidationsbeschluss

Streitgegenständlich war ein gefasster Liquidationsbeschluss aus dem Jahr 2019. Dem vorausgegangen waren zwei Gesellschafterversammlungen, die beide am 30.12.2016 stattfanden. In der ersten wurde ein Ausschließungsbeschluss den hiesigen Kläger betreffend gefasst, der als Grundlage einer Ausschlussklage dienen sollte, über die bisher noch nicht rechtskräftig entschieden ist. In der zweiten Versammlung wurde der Kläger ausgeschlossen. Der Beschluss wurde zwischenzeitig vom LG München I für nicht erklärt (LG München I, Urt. v. 23.04.2018 – 8 HK O 1539/17). Bereits im Anschluss an die Beschlussfassung war allerdings eine neue Gesellschafterliste zur Aufnahme an das Handelsregister gelangt, die den Kläger nicht mehr auswies. Daher wurde er zu der Gesellschafterversammlung, im Rahmen derer der streitgegenständliche Beschluss zur Liquidation gefasst wurde, auch nicht eingeladen.

In erster Instanz wurde der Klage stattgegeben, weil der Kläger nicht zu der Versammlung eingeladen worden ist. Auf die von der Gesellschaft eingelegte Berufung wies der Senat darauf hin, dass er beabsichtige, diese zurückzuweisen (OLG München, Beschl. v. 24.01.2024 – 23 U 9287/21).

Treuwidrigkeit und Vorwurf der unzulässigen Rechtsausübung

Das OLG führte aus: „Danach kann sich die Gesellschaft auf die Legitimationswirkung einer Gesellschafterliste unter anderem dann nicht berufen, wenn sie selbst durch unredliches Verhalten die Aufnahme der Gesellschafterliste im Handelsregister herbeigeführt hat“ und weiter: „Der BGH hat ausgeführt, dass rechtsmissbräuchliches Verhalten der Gesellschaft hinsichtlich einer Gesellschafterliste vorliegt, wenn es ihr durch eine gerichtliche Verfügung untersagt war, nach einem Einziehungsbeschluss eine neue Gesellschafterliste einzureichen, in der der betroffene Gesellschafter nicht mehr als Gesellschafter eingetragen ist, und sie dennoch eine geänderte Liste einreichen lässt oder eine dem gerichtlichen Gebot zuwider aufgenommene Liste nicht korrigiert“, (OLG München, Beschl. v. 24.01.2024 – 23 U 9287/21). Verwiesen hat das OLG München auch auf die Entscheidung des BGH v. 08.11.2022 wonach der Gesellschafter einer GmbH, der seine Stellung dadurch missbraucht, dass er eine materiell unrichtige Gesellschafterliste zum Handelsregister einreicht, um damit eigennützige Interessen durchzusetzen, seine gesellschafterliche Treuepflicht gegenüber dem von der Unrichtigkeit nachteilig betroffenen Gesellschafter verletzt (BGH NZG 2023, 784).

Im Lichte dieser Entscheidungen bejahte der Senat ein rechtsmissbräuchliches Verhalten auch in dem streitgegenständlichen Fall. Zum einen darauf stützte er seine Entscheidung darauf, dass der Nebenintervenient die klar ersichtlich noch nicht wirksame Beschlusslage zur Ausschließung des Klägers selbst herbeigeführt hatte und in Ausführung sodann als Geschäftsführer die Eintragung der fehlerhaften Liste in das Register veranlasst hatte und zum anderen darauf, dass durch das Urteil zu dem zweiten Ausschließungsbeschluss die Rechtswidrigkeit dieses Beschlusses festgestellt war und deswegen seither die Beklagte rechtswidrig handelte, wenn sie sich im Verhältnis zum Kläger auf die negative Legitimationswirkung der fehlerhaften Liste berief.

Resümee

Ein prüfender Blick und eine Einzelfallbetrachtung lohnen in Gesellschafterstreitigkeiten. Nicht immer ist der Gesellschafter, der nicht mehr Listengesellschafter ist, chancenlos. Es kann durchaus Möglichkeiten geben, die formelle Legitimationswirkung der Gesellschafterliste zu durchbrechen.