LAG Niedersachsen, Urt. v. 22.5.2025 – 5 SLa 249/25, BAG – 5 AZR 108/25
Formularmäßige Freistellungsklausel im Arbeitsvertrag
Eine formularmäßige Klausel, die den Arbeitgeber berechtigt, einen Arbeitnehmer ohne Vorliegen weiterer Voraussetzungen innerhalb der Kündigungsfrist freizustellen, verstößt gegen § BGB § 307 BGB und ist unwirksam. So hat es das LAG Niedersachsen (Urt. v. 22.5.2025 – 5 SLa 249/25) entschieden. Die Revision beim BAG ist unter Az. 5 AZR 108/25 anhängig. Mit Spannung wird zu erwarten sein, ob das BAG dem folgt.
Widerruf der Dienstwagennutzung bei Freistellung
Der Arbeitsvertrag sah in dem von dem LAG entschiedenen Fall vor, dass die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer bei oder nach Ausspruch einer Kündigung unter Fortzahlung der Vergütung von der Arbeitsleistung freistellen kann. Der Dienstwagenvertrag knüpft an eine solche Freistellung das Recht, sowohl die dienstliche als auch die private Nutzung des Fahrzeugs zu widerrufen. Diese Vertragskonstellation warf die Frage auf, ob ein Widerruf der Privatnutzung während der Freistellung zulässig ist und welche Folgen dies für den Nutzungsanspruch und etwaige Ausgleichszahlungen hat.
Keine wirksame Freistellung
Die Voraussetzungen für einen Widerruf der Dienstwagennutzung lagen – so das LAG – nicht vor, weil der Kläger nicht wirksam von seiner Arbeitspflicht freigestellt worden sei. Die Freistellungsklausel im Arbeitsvertrag benachteilige den Kläger nach § 307 I 1, II Nr. 1 BGB unangemessen und sei deshalb unwirksam. Eine pauschale Ermächtigung zur Freistellung bei Kündigung widerspreche dem grundsätzlichen, höchstrichterlich anerkannten Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers und kehre das Verhältnis von Regel- und Ausnahmefall um.
Recht auf Beschäftigung
Der allgemeine Beschäftigungsanspruch bestehe grundsätzlich auch nach Ausspruch der Kündigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist. Seine Rechtsgrundlage liegt in der ergänzenden Rechtsfortbildung des Dienstvertragsrechts (§§ 611 ff. BGB) in Verbindung mit § 242 BGB und den grundrechtlichen Wertungen (Art. 1, Art. 2 GG). Bis zum Fristablauf trete dieser Anspruch nur zurück, wenn überwiegende schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers oder jedenfalls sachliche Gründe entgegenstehen.
Anforderungen an Freistellungsklauseln
Solche Gründe müssen konkrete Freistellungsinteressen des Arbeitgebers wiedergeben (z. B. Gefahr der Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen, befürchtete Wettbewerbshandlungen, Abwerbung von Kunden) und dürfen nicht abstrakt aus dem bloßen Vorliegen der Kündigung abgeleitet werden. Das Transparenzgebot des § 307 Abs. 2 BGB verlange nach Auffassung des LAG zudem, dass die zur Freistellung berechtigenden Gründe konkret im Vertrag benannt werden. Eine Klausel, die den Arbeitgeber ohne weitere Voraussetzungen während der Kündigungsfrist zur Freistellung berechtige, verkehrt das Verhältnis von Regel- und Ausnahmefall und sei nach § 307 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.
Resümee
Arbeitgeber müssten, wenn das BAG sich dem LAG Niedersachsen anschließen würde, die Gründe für eine Freistellung im Zweifel auch beweisen können. Dies gibt im Zweifel Arbeitnehmern eine weiteres Druckmittel in der Auseinandersetzung über die Kündigung mit Arbeitgebern und stellt für diese eine weitere Hürde in der Beendigung von Arbeitsverhältnissen auf. Eine Vielzahl arbeitsvertraglicher Freistellungsklauseln aus der Vergangenheit würde dieser Rechtsprechung zum Opfer fallen. Konsequenzen müssten sich dann auch ergeben aus der Anrechnung auf Urlaubs- und Überstundenansprüche, die regelmäßig angerechnet werden im Rahmen der Freistellung.
